Editorial

 

Fünfzig tausendstel Gramm pro Liter. Das klingt nach nicht viel. Kaum vorstellbar. Dennoch fasst diese unscheinbare Zahl die ganze Misere der Landwirtschaft in Deutschland zusammen. Diese 50 Milligramm pro Liter sind der Grenzwert, den die EU für die Belastung des Grundwassers mit Nitrat festgelegt hat. Obwohl es bis zu 15 Jahre und länger dauert, bis der Stickstoff aus dem Dünger über den Boden ins Grundwasser gelangt, wird dieser Grenzwert bereits heute an jeder zweiten Messstelle überschritten. Hauptursache: die Tierhaltung.

 

In den Brunnen von heute finden wir Spuren der Landwirtschaft von gestern. In Niedersachsen mit seiner hohen Viehdichte liefern bereits 60 Prozent aller oberflächennahen Brunnen kein verwendbares Trinkwasser mehr. Eine tickende Zeitbombe, denn die Intensität der landwirtschaftlichen Produktion hat in den letzten Jahren eher zu-, als abgenommen.

 

Nitrat im Grundwasser – ein Kollateralschaden einer agrarindustriellen Landwirtschaft, den Politik und Bauernverband jahrelang achselzuckend zur Kenntnis genommen haben, wohlwissend, dass permanent gegen die Umsetzung geltenden EU-Rechts verstoßen wird. Erst die im Oktober 2016 eingereichte Klage der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland hat ein wenig Dynamik in die Novellierung des Düngerechts gebracht. Drohen doch den deutschen Steuerzahlern Strafzahlungen von bis zu 830.000 Euro – pro Tag!

 

So berechtigt die Klage der Kommission ist, sie müsste auch als Selbstanklage der EU verstanden werden. Ist doch die – von Deutschland mit forcierte – Gemeinsame Agrarpolitik der EU mit ihrer auf konsequente Industrialisierung und Exportorientierung ausgerichteten Strategie der eigentliche Verursacher einer Entwicklung, die sich u.a. in der schleichenden Vergiftung des Grundwassers niederschlägt.

 

Ein Kompromisspapier für die deutsche Düngeverordnung liegt seit Kurzem vor – doch der Kern des Problems bleibt auch hier unberührt: die weitgehend flächenungebundene Tierhaltung. In Deutschland (aber auch in anderen Ländern der EU) werden deutlich mehr Tiere gehalten, als die Futterfläche hergibt und die Böden an Nährstoffen aufnehmen können. Landwirtschaft mutiert immer mehr zur Abfallwirtschaft. Sie gräbt sich – und damit uns allen – gleichsam das Wasser ab. Nährstoffkreisläufe aufzubauen und zu sichern: diese Kernkompetenz einer bäuerlichen Wirtschaftsweise gilt es in Zukunft zu stärken.

 

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) sieht in der Stickstoffbelastung eines der größten ungelösten Umweltprobleme unserer Zeit. Dabei liegt die Lösung auf der Hand: weniger Tiere, artgerecht gehalten, ohne Futtermittel aus Übersee. Damit wäre allen gedient – den Tieren, der Umwelt, der biologischen Vielfalt und (bei fairen Preisen) auch den Landwirten und Verbrauchern.

 

Das heutige Agrarsystem ist jedenfalls keineswegs so „alternativlos“, wie es von Politik, Bauernverband und den Agrarkonzernen immer wieder dargestellt wird! Alternativen zur Agrarindustrie zeigt der Kritische Agrarbericht Jahr für Jahr auf.

 

Die aktuelle Stickstoffdebatte war für uns ein Anlass, den Umgang mit Wasser zum thematischen Schwerpunkt des diesjährigen Agrarberichts zu machen. Dabei haben wir versucht, den – global wie auch regional – unterschiedlichen Facetten des Themas gerecht zu werden.

 

Weltweit verbraucht Landwirtschaft 70 Prozent des verfügbaren Süßwassers. Hiervon fließt ein Drittel allein in die Nutztierhaltung. Aber Landwirtschaft ist nicht nur abhängig von ausreichend Wasser. Auch ein Zuviel an Wasser kann unsere Böden, die Grundlage allen menschlichen Lebens, unwiederbringlich zerstören.

 

Dabei stellt sich die Situation in den Ländern des globalen Südens, wo viele unserer Futter- und Lebensmittel herkommen, allein schon aus klimatischen Gründen anders dar als bei uns. Aber auch hier, im globalen Norden, nehmen im Zuge des Klimawandels Dürren und Wetterkapriolen ebenso wie der Bewässerungsfeldbau rapide zu. Weltweit betrachtet löst der Kampf um Wasser Kriege aus und ist eine der Ursachen für Migration und Flucht. Zugang zu sauberem Wasser ist ein vielfach missachtetes Menschenrecht.

 

Folgenden Fragen zu diesem komplexen Themenfeld sind wir in diesem Kritischen Agrarbericht unter anderem nachgegangen:

 

  • Welche Rolle spielt Wasser als Produktionsfaktor in der hiesigen Landwirtschaft und welche Auswirkungen des Klimawandels sind bereits zu beobachten?
  • Welchen Belastungen sind Grund- und Oberflächenwasser durch die Landwirtschaft ausgesetzt?
  • Welche Folgen für die Natur, aber auch für die menschliche Gesundheit sind damit verbunden?
  • Wie ist der Stand der rechtlichen Auseinandersetzungen bei den einschlägigen EU-Vorgaben für eine wasser- und umweltschonende Landbewirtschaftung?
  • Inwiefern ist der Ökologische Landbau ein natürlicher Verbündeter der Wasserwirtschaft und welche Erfahrungen wurden bislang bei der Kooperation von Land- und Wasserwirtschaft gemacht?
  • Welche Trends sind beim Thema Wasser in der Entwicklungszusammenarbeit zu beobachten? Wie agieren hier Politik und Agrarkonzerne?

 

Dies sind einige der Fragen, die in den 20 Beiträgen (von insgesamt 50) behandelt werden, die dem Schwerpunkt gewidmet sind.

 

Die weiteren Texte in diesem Agrarbericht behandeln zum Teil „Dauerbrenner“ der agrarpolitischen Diskussion: so etwa die zunehmend prekäre Situation der Milchbauern, die 2016 zu zahlreichen Betriebsaufgaben geführt hat – soviel wie nie. Oder den anhaltenden Streit um die Wiederzulassung von Glyphosat, einem flächendeckend eingesetzten Herbizid, ohne das die konventionelle Landwirtschaft nicht auszukommen glaubt. Auf dessen Einsatz bauen bei uns ganze Anbausysteme auf. Es wurde zu lange ignoriert, dass nur Alternativen dieser Fehlentwicklung begegnen können. Und die gibt es ja bereits, z. B. im Ökolandbau! Bäuerinnen und Bauern werden sie weiterentwickeln müssen.

 

Dauerbrenner sind auch Missstände in der Tierhaltung, die immer mehr Menschen auf die Straße bringen, um von der Politik einen tiefgreifenden Umbau der Tierhaltung einzufordern. Womit wir wieder bei den eingangs erwähnten 50 Milligramm wären – jener Kennziffer einer ebenso anhaltenden wie flächendeckenden Fehlentwicklung.

 

Bei all dem geht es letztlich um einen dringend erforderlichen Systemwechsel hin zu einer bäuerlich geprägten Landwirtschaft, die im wahrsten Sinne des Wortes „kultiviert“ mit den ihr anvertrauten Lebewesen umgeht. Ausreichend gesunde Lebensmittel fair herstellen: das ist die Herausforderung der Zeit. Sauberes Wasser, unser wichtigstes Lebensmittel, wird dann quasi zum „Nebenprodukt“ einer solchen Agrarkultur.

 

Dieser Systemwechsel fällt nicht vom Himmel. Er muss politisch erkämpft werden. Er muss aber auch getragen sein, von einem Bewusstseinswandel aller Beteiligten. Nämlich dem Bewusstwerden der tiefgehenden existenziellen Verbundenheit von Mensch und Natur.

 

Dabei könnte gerade das Wasser „eine tragende, vermittelnde Rolle“ spielen, so der Schweizer Wasserexperte Klaus Lanz in seinem einführenden Essay: „Wasser als vermittelndes, alles durchströmendes Element zu erkennen und zu empfinden – vermittelnd und strömend zwischen Individuen, Tieren, Pflanzen, Mineralien und der Welt –, nicht nur als nützliche Ressource, ist der erste und notwendige Schritt zu einem wahren Umdenken. Wer sich als Teil fühlt, verletzt das Ganze nicht.“

 

Wir danken den 70 Autorinnen und Autoren aus dem In- und Ausland, die mit ihren Beiträgen zum Gelingen dieses agrarpolitischen Jahrbuchs beigetragen haben. Dank gebührt auch den Stiftungen, Unternehmen und Organisationen, die durch ihre finanzielle Unterstützung die Arbeit am Kritischen Agrarbericht Jahr für Jahr ermöglichen.

 

 

Für die Redaktion:

Manuel Schneider, Andrea Fink-Keßler, Friedhelm Stodieck

 

Für den Vorstand des AgrarBündnis:

Jochen Dettmer, Clemens Gabriel, Esther Müller, Bernd Voß

 

München, im Dezember 2016

 

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