2025

Es sind denkwürdige Zeiten, in denen dieser Kritische Agrarbericht entstanden ist. Konflikte, Kriege, Krisen, wo man hinschaut. Die Welt scheint aus den Fugen zu geraten: politisch, sozial, ökonomisch – ökologisch sowieso. Das Pariser Klimaziel rückt in unerreichbare Ferne, die CO₂-Emissionen erreichen neue Höchststände, der dramatische weltweite Verlust der biologischen Vielfalt geht unvermindert weiter. UN-Konferenzen, die all dies stoppen sollten, geraten immer mehr zu einer Farce (auch wenn es zu ihnen keine Alternative gibt).

Vor allem von konservativer, liberaler und rechter/rechtsextremer Seite wird zurzeit – getrieben von Populismus – massiv an einem umweltpolitischen „Rollback“ gearbeitet. An einer Rückabwicklung all dessen, was umwelt- und klimapolitisch in den letzten Jahren und Jahrzehnten mühsam dem business as usual an ökologischen Rahmensetzungen abgerungen wurde.

Das ist paradox und grenzt an Realitätsverweigerung: Je offenkundiger und größer die Bedrohungslage, desto mehr schwindet offenbar die gesellschaftliche und politische Unterstützung für jeglichen sozial-ökologischen Wandel, der dieser Bedrohung entgegenwirken könnte.

Das gilt leider auch für die Landwirtschaft. Der Angriffskrieg auf die Ukraine wurde von der Agrarlobby genutzt, um Kernpunkte der EU-Agrarreform und die weitere Ökologisierung der Landwirtschaft auszuhebeln. Es folgten zum Jahreswechsel 2023/24 massive Bauernproteste in Deutschland und Europa. Zum Teil recht martialisch anmutende Aufmärsche mit „schwerem Gerät“, bei denen immer wieder auch die Grenze des Legitimen und Legalen überschritten wurde.

Insgesamt eine komplexe Gemengelage von realen Problemen, scheinbaren Lösungen, fragwürdigen Allianzen und allzu einfachen Schuldzuweisungen. Im Kern ging und geht es bei der hochemotional geführten Auseinandersetzung immer auch um Fragen von Wertschätzung, Anerkennung, Gesehenwerden. Um Enttäuschung, Wut und Frust darüber, dass die vielfältigen Leistungen und Wertschöpfungen, die die Menschen auf ihren Höfen für die Gesellschaft erbringen, von dieser nicht genügend honoriert werden – honoriert im rein ökonomischen Sinne, aber auch im umfassenden, nicht-monetären Sinne.

„Wertschöpfung & Wertschätzung“ – so lautet denn auch der Titel des diesjährigen Themenschwerpunkts im Kritischen Agrarbericht, dem allein 19 der insgesamt 48 Beiträge gewidmet sind. Ein Teil dieser Schwerpunktbeiträge behandelt rückblickend und analysierend den Unmut der Bäuerinnen und Bauern:

• Welche Hintergründe und Ursachen prägten die Proteste – politisch, ökonomisch und sozial, aber auch mental und emotional? Was waren die entscheidenden Auslöser und „Triggerpunkte“ für den Aufstand der Landwirt:innen?
• Ist es Unterwanderung – ist es Annäherung? Wie kommt es zu der Nähe mancher Protestler zu rechtsextremen und -nationalistischen Positionen?
• Wo sind die Forderungen nach Bürokratieabbau berechtigt, wo werden sie zur Ideologie, bei der es weniger um den Abbau von bürokratischen Auflagen geht als vielmehr um den Abbau von Umwelt- und Sozialstandards?

Der Hauptteil der Beiträge widmet sich dem Schwerpunktthema in positiver, mutmachender Perspektive.

• Sie zeigen zum Teil anhand von Best-Practice-Beispielen auf, wie Wertschöpfungsketten im Sinne von Wertschätzungsketten fairer gestaltet werden können und welche Maßnahmen dafür erforderlich sind – auch beim Handel mit Ländern des globalen Südens?
• Gleich mehrere Beiträge beschäftigen sich mit dem Thema „faire Milchpreise“. Wie können – endlich – kostendeckende Erzeugerpreise und eine für alle Beteiligten transparente Preisgestaltung erreicht werden?
• Berichtet wird von den guten Erfahrungen, die in anderen EU-Ländern mit Regulierungsmöglichkeiten der Gemeinsamen Marktordnung gemacht werden, aber auch von neuen, rein privatwirtschaftlichen Initiativen auf dem Milch- und Schweinemarkt, denen es gelingt, einen fairen Interessenausgleich von Erzeugern, Verarbeitern und Handel zu erreichen.
• Es gibt Wertschöpfungen auf den Betrieben, die sich gar nicht oder nur unzureichend „einpreisen“ lassen wie z. B. der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, der Schutz der Gewässer oder besondere Anstrengungen beim Tierschutz. Vorgestellt werden erste Ansätze, diese Gemeinwohlleistungen zu bilanzieren und betriebswirtschaftlich zu steuern.
• Neue Formen der Solidarität und wertschätzender Kooperationen zwischen Stadt und Land, zwischen Erzeuger:innen und Verbraucher:innen werden im Bereich der solidarischen Landwirtschaft seit vielen Jahren gelebt. Was sind die jüngsten Entwicklungen auf diesem Feld alternativer, marktferner Wirtschaftsformen?
• Schließlich gehen wir der Frage nach, welche Vorstellungen junge Bäuerinnen und Bauern von „guter Arbeit“ in der Landwirtschaft haben – und worin diese sich unterscheiden von denen der Elterngeneration.

An guten Ideen, erfolgreichen Projekten und durchdachten Konzepten, wie Wertschöpfung in der Landwirtschaft und Wertschätzung durch die Gesellschaft wieder stärker zueinander finden, mangelt es nicht. Das machen die Beiträge des Kritischen Agrarberichts Jahr für Jahr deutlich. Woran es mangelt, ist der politische Wille, diesen Transformationsprozess in die Wege zu leiten, ihn zu begleiten (ordnungsrechtlich wie finanziell) und vor allem: ihn nicht wieder bei nächstbester Gelegenheit zum Erliegen zu bringen. Die Landwirtschaft denkt in Generationen, nicht in Wahlperioden. Sie braucht dringend mehr Kontinuität und Planungssicherheit!

Ein Lichtblick ist daher die Tatsache, dass nach all den Streitereien der vergangenen Monate die Zukunftskommission Landwirtschaft – trotz ihrer denkbar heterogenen Zusammensetzung – es erneut geschafft hat, sich auf eine gemeinsame „Zukunftsvision“ zu verständigen.

Inhaltlich zwar wenig Neues gegenüber dem ersten Abschlussbericht aus dem Jahr 2021. Aber immerhin. Die „Neue Kultur der Zusammenarbeit“, die der Kommissionsbericht für den gesamten Sektor einfordert, scheint das Gremium für sich selbst gefunden zu haben. Bleibt zu hoffen, dass die erarbeiteten „Strategischen Leitlinien“ für eine tiefgreifende Transformation des Agrarsystems (ebenso wie die nach wie vor gültigen Ergebnisse der Borchert-Kommission) nicht wieder in den Schubladen der Nachfolgeregierung verschwinden wie beim letzten Mal. Denn viel Zeit für den notwendigen Richtungswechsel bleibt nicht.

Herausgeber und Autor:innen des Kritischen Agrarberichts, dessen 33. Ausgabe hiermit vorliegt, haben sich auch in diesem Jahr vorgenommen, diesen gesamtgesellschaftlichen Umgestaltungsprozess mit ihren Beiträgen konstruktiv-kritisch zu begleiten. Dazu zählt auch, konkrete Forderungen an die Politik zu richten. So finden sich erneut in den Jahresrückblicken („Entwicklungen & Trends“) eines jeden Kapitels Kernforderungen an die Politik – fünf aus jedem der zehn Politikfelder, 50 insgesamt. Zeitlich passend im Vorfeld der Bildung einer neuen Regierung.

Wir danken den 68 Autor:innen aus dem In- und Ausland für ihre Expertise und ihr ehrenamtliches Engagement. Dank gebührt auch den Stiftungen und Organisationen, die durch ihre nachhaltige finanzielle Unterstützung die Arbeit am Kritischen Agrarbericht immer wieder aufs Neue ermöglichen.

Für die Redaktion:

Manuel Schneider, Andrea Fink-Keßler, Friedhelm Stodieck

Für Vorstand und Geschäftsführung des
AgrarBündnis:

Jochen Dettmer, Clemens Gabriel, Sebastian König, Carolin Pagel, Jenny Schlosser, Frieder Thomas, Bernd Voß

München, im Dezember 2024